«Systematische Reviews stossen auf grosses Interesse in der Forschungscommunity»
Vom 20. bis zum 23. August 2024 fand in Bergen, Norwegen, die Summer School zu Systematischen Reviews von Tierversuchen statt. Benjamin Ineichen, der die Summer School geleitet hat, blickt zurück.
Der viertägige Event wurde vom Zürcher STRIDE-Lab (Teil des Center for Reproducible Science der Universität Zürich) und Norecopa (Norwegens 3R-Zentrum) organisiert. Im Fokus stand die Rolle von Systematischen Reviews (SR) zu Tierversuchen in der präklinischen Forschung. Eine SR ist eine strukturierte Zusammenfassung zu einer bestimmten Forschungsfrage, die es ermöglicht, ein gesamtes Forschungsfeld abzubilden oder zu bewerten, wie valide eine Forschungsmethode ist. Sie kann wichtige Informationen liefern rund um die Planung eines Tierversuchs und aufzeigen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse bereits zu dieser Forschungsfrage bestehen.
Wir haben Benjamin Ineichen, Gründer des STRIDE-Labs und Mitorganisator der Summer School, rückblickend einige Fragen gestellt:
Welche Rolle spielen SR im Bereich 3R?
SR identifizieren alle relevanten Studien zu einem Thema und fassen diese zusammen. So stellen sie sicher, dass keine wichtigen Informationen übersehen werden. Durch diese umfassende Analyse können ohne zusätzliche Forschung an Tieren neue Erkenntnisse gewonnen werden, z. B. bei der Auswahl geeigneter Tiermodelle, Spezies und Dosierungen von Medikamenten. Dies ist für die evidenzbasierte Tierforschung besonders wichtig.
Wie können SR dazu beitragen, dass die Anzahl Tierversuche verbessert, reduziert und ersetzt werden?
Eine SR kann beispielsweise zeigen, dass ein Medikament, das an Tieren getestet wurde, beim Menschen nicht wirksam ist. Dies deutet darauf hin, dass das verwendete Tiermodell möglicherweise nicht geeignet ist für präklinische Medikamententestung. Auf diese Weise können SR dazu beitragen, Tierversuche zu reduzieren, indem gescheiterte Tests nicht nochmals durchgeführt werden.
Zudem ermöglichen sie die Anpassung von Forschungsmethoden, um das Leiden der Tiere durch weniger Schmerz zu verringern. Beispielsweise zeigten viele Medikamente, die im Tierversuch vielversprechend ausgesehen haben, keine Wirkung in der Schlaganfall-Therapie beim Menschen. Mittels SR hat man herausgefunden, dass viele dieser Medikamente an jungen, sonst gesunden Tieren getestet wurden, was nicht die Realität des typischen Schlaganfall-Patienten abbildet: Dieser ist häufig schon älter und hat meist verschiedene Vorerkrankungen. Medikamente, die an älteren Tieren mit Bluthochdruck getestet wurden, schnitten auch am Menschen besser ab.
In welchem Bereich haben die Teilnehmenden der Summer School am meisten profitiert?
Die Teilnehmenden haben am meisten vom Kursformat profitiert: Durch die praktische Anwendung konnten sie an ihren eigenen SR arbeiten und praktische Erfahrungen mit der Methode sammeln. Sie haben dadurch nicht nur eine gewisse Unabhängigkeit in der Methodik erlernt, sondern auch den Nutzen und die Notwendigkeit solcher Reviews erkannt. Viele der Teilnehmenden zeigten sich überzeugt, die Methode in ihrer zukünftigen Arbeit einzusetzen.
Besonders wertvoll waren auch die praktischen Tipps zur Durchführung von SR, beispielsweise zur Literatursuche und zur Extraktion von Daten. Zudem wurde das Problem angesprochen, dass viele veröffentlichte Reviews von schlechter Qualität sind, was den Teilnehmenden eine klare Vorstellung davon vermittelte, was bei der Methode zu beachten ist und was nicht.
Welche sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie selbst aus diesen drei Tagen gezogen haben?
Zwei wichtige Erkenntnisse, die ich gezogen habe, sind erstens, dass die SR auf ein grosses Interesse in der Forschungscommunity stösst: Wir hatten beide Jahre, in denen wir die School durchgeführt haben, viele Anmeldungen und konnten letztlich nicht alle Bewerbenden aufnehmen. Es motiviert mich zu sehen, dass ein grosses Interesse an dieser Methode besteht.
Zweitens habe ich festgestellt, dass die Methodik Zeit benötigt und nicht innerhalb von ein oder zwei Tagen erlernt werden kann Um ein besseres Verständnis zu erlangen, sind mehrere Tage dezidierten Engagements nötig. Die Zeit, die uns während der Summer School zur Verfügung stand, war daher entscheidend, um die Inhalte angemessen zu vermitteln und praktische Fähigkeiten zu entwickeln.
Wo gibt es noch Barrieren zur Implementierung dieser Methode?
In vielen geographischen Regionen ist diese Expertise im Bereich der SR noch nicht weit verbreitet. Das Positive ist aber, dass bedeutende 3R-Organisationen Interesse an dieser wichtigen Methode zeigen. In einem Dialog mit Adrian Smith, dem Direktor von Norecopa, wurden wir gefragt, ob wir daran interessiert wären, die Methode in Norwegen zu präsentieren. So kam es zur Umsetzung der diesjährigen Summer School an der Universität Bergen und zur erfolgreichen Zusammenarbeit mit Norecopa, einer der grössten 3R-Organisationen Europas.
Wie war das Wetter?
Es hat durchgehend geregnet. Aber Bergen ist wirklich auch bei Regen eine wunderschöne Stadt.
Gibt es Pläne für eine Summer School im 2025?
Ja. Wahrscheinlich wird sie wieder in Bergen stattfinden. Voraussichtlich vom 19.-22. August 2025. Wir freuen uns schon jetzt darauf!
3Rs Award 2023
Jährlich verleiht das Schweizerische 3R-Kompetenzzentrum (3RCC) Auszeichnungen an Forschende für herausragende Beiträge zur Förderung des 3R-Prinzips. Benjamin Ineichen und das von ihm gegründete STRIDE-Lab am Center for Reproducible Science der UZH haben am 2. Juli 2024 den «3Rs Award» 2023 gewonnen. Herzliche Gratulation!
https://www.news.uzh.ch/de/articles/news/2024/3R-Preise.html
UZH 3R Award
Der 3R Award der Universität Zürich macht Anstrengungen und Erfolge von UZH-Angehörigen im Bereich 3R innerhalb und ausserhalb der UZH sichtbar und fördert damit die 3R Prinzipien an der UZH. Benjamin Ineichen und sein Team des STRIDE-Lab haben einen der beiden Preise gewonnen. Herzliche Gratulation auch zu diesem Verleih!
https://www.tierschutz.uzh.ch/de/UZH-3R-Award0.html
YSTA 2024
Herzliche Gratulation auch an Isidora Loncarevic zum Gewinn des Young Scientist Travel Award und zum Best Talk Award am European Congress on Alternatives to Animal Testing in Linz. Isidora Loncarevic forscht im Rahmen des NFP 79 im Team von Barbara Rothen zum Thema künstlicher Lungenmodelle.